Athen befindet sich im fünften Jahrhundert vor Christus in voller Blüte. Der Philosoph Sokrates lehrt auf den Straßen, Literatur und Theater florieren, Perikles baut die Akropolis, die Demokratie entfaltet sich mehr und mehr. Aber die Zeiten ändern sich, als Sparta mächtiger wird. Der attische Seebund zerbricht durch die Niederlage im Peloponnesischen Krieg 404 v. Chr. und damit ist der Abstieg Athens besiegelt. Erst ein Jahrhundert später erlebt es dann in der Zeit von Platon und Aristoteles erneut eine glanzvolle Epoche.
Aristophanes lebt in der Blütezeit des fünften Jahrhunderts vor Christus. Er ist Komödiendichter und beteiligt sich immer wieder an den Dionysien, den Festspielen zu Ehren des Gottes Dionysos, dem Gott der Freude, des Rausches und des Weines. Acht Tage werden kultische Riten praktiziert, Höhepunkt ist der Dichterwettstreit. Um die Dionysien zu organisieren, ist jeweils eine mehrmonatige Vorbereitung nötig. Wer am dichterischen Wettstreit teilnehmen würde, wird dabei erst zwei Tage im Vorfeld bekannt gegeben. Athen fiebert und alles, was Rang und Namen hat, ist auf den Beinen. Der Ablauf der Festivitäten ist streng geregelt. Nach einem Festzug am ersten Tag, nach Opferzeremonien und einem Chorwettstreit ist Tag zwei dem Wettstreit der Komödiendichter gewidmet. An den weiteren Tagen messen sich die Tragödiendichter. Einige wenige Sieger dieser Zeit sind heute noch bekannt, einer von ihnen ist Aristophanes.
Bedenkt man, dass diese Festspiele mehrmals im Jahr stattfanden und stellt man sich vor, wie viele unterschiedliche Komödien und Tragödien zur Aufführung kamen, dann wird man schnell still angesichts der schmalen Zahl der heute überlieferten Stücke. Sophokles, Aischylos, Euripides, Aristophanes und noch einige wenige andere sind uns bekannt. Die weitaus größere Zahl von Dichternamen ist untergegangen. Die Gründe zu erörtern ist interessant: z. B. haben sie es nicht aufs Siegertreppchen geschafft und sind daher nicht bekannt geworden oder sie entsprachen nicht dem Zeitgeschmack oder ihre Stücke sind Opfer der vielen Bücherstürme geworden, die über die antike Welt gefegt sind oder … Es gibt multiple Gründe.
Nun aber Die Frösche von Aristophanes. Ein spannendes und durchaus auch sehr aktuelles Thema greift der Dichter in ihnen auf: Zwei berühmte Autoren, Aischylos und Euripides nehmen gegenseitig ihre Werke auseinander. Dionysios verehrt den kürzlich verstorbenen Euripides und reist daher in die Unterwelt, um ein Gespräch zwischen ihm und dem Altmeister Aischylos zu organisieren, in dem es darum gehen soll, wer der Würdigere sei. Das Treffen findet im Haus von Pluton, dem Gott der Totenwelt, statt. Pfiffig ist diese Idee, ein Gespräch zwischen zwei literarischen Koryphäen anzuregen, heute würde man vielleicht aus deutscher Sicht Wolfgang von Goethe auf Thomas Mann treffen lassen.
Aischylos und Euripides schonen sich gegenseitig nicht, sie liefern sich einen regelrechten Wettstreit mit hohem Unterhaltungswert. Was ist der beste Stil? Welche Inhalte dürfen und sollen angesprochen werden? Gibt es eine ästhetische Grenze der Kunst? Aristophanes greift Themen aus dem Leben seiner Zeit auf, berichtet über das, worüber man sich aufregt und worüber man spricht. Er zeigt uns mit den beiden Schriftstellern auf der Bühne zwei Menschen mit ihren Stärken und Schwächen, aber besonders ihre Makel machen sie sympathisch. Derber Humor paart sich mit feinsinniger Parodie.
Schauen wir uns den Beginn des Gespräches an. Die Reise von Dionysos in den Hades und die damit verbundenen Hindernisse nehmen einen guten Teil des Schauspiels ein. Entnervt durch das Geschrei der Frösche im See, der zur Unterwelt führt und deren Unterhaltung er nicht versteht, kommt Dionysos dort an. Er ist gespannt auf das Gespräch zwischen Euripides und Aischylos und ja, er hofft natürlich auch, dass der von ihm so verehrte Autor Euripides als Sieger aus ihm hervorgehen wird. Werden sich diese Dichter verstehen? Haben sie eine gemeinsame Sprache? Wird er, Dionysos, zu einem klaren Urteil kommen? Oder wird er deren Sprache ebenso wenig verstehen wie die der Frösche? Bei Pluton ist es üblich, dass der würdigste Dichter an der Tafel neben ihm Platz nehmen darf. Dort sitzt gerade Aischylos. Nun setzt Euripides alles daran, diesen von diesem Platz zu verdrängen. Wir blicken in die fünfte Szene:
Euripides: Der Ehrensitz ist mein, ich lass‘ ihn nicht;
Nicht er, ich bin der Meister der Tragödie!
Dionysos: Was schweigst du, Aischylos? Du hörst ihn doch?
Euripides: Erst tut er feierlich, so wie er stets
In seinen Stücken grandios sich spreizt!
Dionysos zu Euripides:
Hör, Menschenkind, du nimmst den Mund zu voll!
Euripides: Ich kenn‘ ihn, ich durchschaut‘ ihn längst, den Schöpfer
Der Ungeheuer, den Posaunenmund,
Unbändig reißend ohne Zaum und Zügel,
Aufsprudelnd, wortgebälkverklammerungskundig!
Aischylos: „Ha, Sohn der Göttin vom“ Gemüsemarkt,
Mir das von dir sagen lassen, du Bühnenlumpensammler,
Du Bettelbrutaushecker, Fetzenstückler!
Dein Wort soll dich verderben!
Dionysos: Aischylos,
Hör auf, erhitze dir die Galle nicht!
Aischylos: Nein, nein, entlarven will ich erst den Vater
Der Krüppelhelden, der so frech mir trotzt!
Dionysos zum Gefolge:
Ein Lamm, ihr Sklaven, bringt ein schwarzes Lamm,
Es steigt ein gräßlich Ungewitter auf!
Aischylos zu Euripides:
Du, der du Hurenmonologe schmiedest
Und in der Kunst die Blutschand‘ eingeschwärzt!
Dionysos: Halt ein, geehrter Meister Aischylos!
Und du geschlagner Mann, Euripides,
Weich aus dem Hagelwetter, sei gescheit,
Eh‘ er mit einem Kernwort dir das Hirn
Zerschlägt, daß dir der Telephos herausspritzt!
Du aber, prüfe ruhig, Aischylos,
Und laß dich prüfen! Dichtern will’s nicht ziemen,
Sich auszuschimpfen wie die Hökerweiber.
Du knatterst gleich wie Eichenholz im Feuer!
Sie schonen sich nicht. Dichtern gezieme es nicht, sich wie Hökerweiber auszuschimpfen. Aber sie greifen zu herbem Vokabular, um sich gegenseitig zu treffen: Wortgebälkverklammerungskundig soll Aischylos sein. Das kann er nicht auf sich sitzen lassen und nennt Euripides einen Bettelbrutaushecker, einen Fetzenstückler, einen Krüppelhelden, der Hurenmonologe schmiedet. Political corectness? Dieses Phänomen kennt die Antike nicht. Euripides wirft Aischylos maßlose Prahlerei vor und kritisiert, dass er die Zuschauer viel zu lange auf das eigentlich Wichtige warten lässt. Aischylos kontert, dass Dichter doch die Aufgabe hätten, Menschen besser zu machen, ein Ziel, das Euripides weit verfehle, da er eher im unmoralischen Morast versumpfe.
Aischylos: (…) Schändliches soll sorgfältig verhüllen der Dichter,
Nicht ans Tageslicht ziehn und öffentlich gar aufführen: denn was für die Knaben
Der Lehrer ist, der sie bildet und lenkt, das ist für Erwachs’ne der Dichter.
Nur das Treffliche dürfen wir singen.
Euripides: Und du, wenn du Riesengebirge von Worten
Auftürmst und lauter Parnasse sprichst, heißt das wohl, das Treffliche singen?
Man muß doch menschlich auch reden!
Der vollkommen ernst gemeinte Schlagabtausch hat seine komischen Seiten, insbesondere, wenn man ihn sich auf der Bühne vorstellt. Dionysos muss irgendwann eine Entscheidung treffen, welcher der beiden Dichter der würdigere ist. Er weiß, dass er nur einen der beiden mit zurück in die Oberwelt nehmen kann. Diese Entscheidung fällt ihm nicht leicht. Er will den bevorzugen, der der Polis am meisten nutzt. Letztlich überzeugt Aischylos mit einer klareren und verständlicheren Rede. Geschickt baut Aristophanes in die Komödie auch die Themen „Wie bewerte ich Kunst?“ und „Welche Aufgabe haben Dichter?“ ein. Diese Fragen muss sich jede Zeit stellen und nach passenden Antworten suchen.
Die Frösche sind ein Paradestück der Antike, in dem der Slapstick des Anfangs immer mehr in gegenseitige Parodien der Dichter übergreift und hier dann auch die Kenntnis ihrer Stücke vorausgesetzt wird. Die Frösche leben von intertextuellen Bezügen, d. h. die beiden Dichter verweisen ständig auf einen Fundus anderer Werke. Wie reich ist das literarische Leben in ihren Köpfen! Wäre die Komödie heute entstanden, würde sie ohne Probleme als postmodernes Stück durchgehen, das aus ganz unterschiedlichen Zitaten anderer literarischer Texte zusammengesetzt ist. Viele Andeutungen in den Fröschen erschließen sich uns nicht mehr. Das Wissen um die Literatur der Zeit ist weitgehend verloren gegangen. Wenn wir die Komödie heute lesen, interessiert uns die Frage: Welcher Dichter ist es wert, gelesen zu werden? Nach welchen Kriterien gehe ich vor, wenn ich Literatur gut oder schlecht befinde? Aristophanes stellt uns wahrlich keine hoch intellektuelle Diskussion zwischen Euripides und Aischylos vor. Nein, er legt ihnen geradezu lächerliche Argumente in den Mund. Sie nutzen derbe und durchaus auch obszöne Witze und jede Menge neue Wortschöpfungen. Dadurch wird im Grunde die Fragwürdigkeit von literarischer Wertung und erst recht von Preisen komödiantisch beleuchtet.
Aristophanes hat ca. vierzig Komödien geschrieben. Die Frösche entstehen 406 v. Chr. Aristophanisch schreiben heißt mit beißendem, geistvollem Witz schreiben. Bis heute gibt es Adaptionen, besonders zu nennen ist das Musical The Frogs von Stephen Sondheim, das im Swimmingpool der Yale University in den 1970er Jahren Meryl Streep und Sigourney Weaver uraufgeführt wurde. Seit 2004 ist das Musical am Broadway zu sehen.
Aristophanes interessiert, wie sich Gesellschaft verändert. Besonders im Visier hat er all diejenigen, die sich besonders klug wähnen und im Leben komplett versagen. Vielleicht würde er heute sehr erfrischende neue Argumente in das Dauerthema „Darf Kunst alles?“ einbringen. Vielleicht wäre sein Thema heute nicht der Dichterwettstreit, sondern die Frage nach der Qualität der Inszenierung, des Regietheaters und der bewussten Veränderung literarischer Stoffe.
Aristophanes: „Die Frösche“, in: ders.: Komödien. Übersetzt von Ludwig Seeger. Wiesbaden/Berlin: Vollmer Verlag, o. J.