Ephraim Kishon. Philharmonisches Hustenkonzert

Zu den begehrtesten Statussymbolen in Israel gehört ein Abonnement für die Konzerte des Philharmonischen Orchesters.

Sein Besitz gilt als Ehrensache für jeden, der in der Lage ist, seiner Frau ein Kleid zu kaufen, oder der selbst Kleider verkauft oder sich in der Export-Import-Branche betätigt oder irgendeine andere Legitimation vorweisen kann, zum Beispiel eine Erkältung.

So beginnt Kishons Hustenkonzert, geschrieben 1967. Prägnant wird beschrieben, wie der Erzähler an eines der begehrten Abonnements des Philharmonischen Orchesters gekommen ist. Begleiten wir ihn in seine Gedankenwelt während eines Konzertes:

Der dritte Abend des Konzertzyklus begann wie üblich. Die Mitglieder des Orchesters stimmten ihre Instrumente (ich frage mich immer wieder, warum sie das nicht zu Hause machen), und der Dirigent wurde mit warmem Beifall empfangen. Er konnte ihn brauchen, denn draußen war es kalt. Unvermittelt hatte der Winterfrost eingesetzt und einen jähen Temperatursturz bewirkt. Tschaikowskis »Pathétique« klang denn auch am Beginn ein wenig starr. Erst als die Streicher gegen Ende des ersten Satzes das Hauptmotiv wiederholten, kam Schwung in die Sache: Ein in der Mitte der dritten Reihe sitzender Textilindustrieller hustete. Es war ein scharfer Sforzato-Husten, gemildert durch ein gefühlvolles Tremolo, mit dem der Vortragende nicht nur seine perfekte Kehlkopftechnik bewies, sondern auch seine flexible Musikalität.

Von jetzt an steuerte der Abend immer neuen Höhepunkten zu. Die katarrhalischen Parkettreihen in der Mitte und ein Schnupfensextett auf dem Balkon, spürbar von der aufwühlenden Hustenkadenz inspiriert, fielen mit einer jubelnden Presto-Passage ein, deren Fülle – eine Ensemblewirkung von natürlichem, wenn auch etwas nasalem Timbre – nichts zu wünschen übrigließ. In dieser Episode machte besonders die auf einem Eckplatz sitzende Inhaberin eines führenden Frisiersalons auf sich aufmerksam, die ihr trompetenähnliches Instrument virtuos zu behandeln wusste und mit Hilfe ihres Taschentuchs reizvolle »Con sordino«-Wirkungen erzielte. Obwohl sie manchmal etwas blechern intonierte, verdiente die Präzision, mit der sie das Thema aufnahm, höchste Bewunderung. Ihr Gatte steuerte durch diskretes Räuspern ein kontrapunktisches Element bei, das sich dem Klangbild aufs glücklichste einfügte.

Ein gemischtes Duo, das neben uns saß, beeindruckte uns durch werkkundiges Mitgehen. Beide hielten sich mit beispielhaft konsequentem Husten an die auf ihren Knien liegende Partitur: »tam-tam« moderato sostenuto, »tim-tim« – allegro ma non troppo. Meine Frau und ich waren von den Darbietungen hingerissen und ließen uns auch durch das Orchester nicht stören, dessen disparate Bemühungen in unvorteilhaftem Kontrast zur Harmonie des Tutti-Niesens standen.

Das nächste Programmstück, ein blässlicher Sibelius, wurde durch den polyphonen Einsatz der Zuhörerschaft nachhaltig übertönt. Ich meinerseits wartete, bis das Tongedicht an einer Fermate zum Stillstand kam und die Bläser für die kommenden Strapazen tief Atem holten, erhob mich ein wenig von meinem Sitz und ließ ein sonores, ausdrucksvolles Husten hören, das meine musikalische Individualität voll zur Geltung brachte.

Die Folgen waren elektrisierend. Der Dirigent, respektvolles Erstaunen im Blick, wandte sich um und gab dem Orchester ein Zeichen, meine Darbietung nicht zu unterbrechen. Er zog auch noch einen in der ersten Reihe sitzenden Solisten heran, einen erfolgreichen Grundstücksmakler, der das von mir angeschlagene Motiv in hämmerndem Stakkato weiterführte. Befeuert von den immer schnelleren Tempi, die der Maestro ihm andeutete, steigerte er sich zu einem trillernden Arpeggio, dessen lyrischer Wohlklang gelegentlich von einer kleinen Unreinheit gestört wurde, im ganzen aber eine höchst männliche, ja martialische Färbung aufwies.

Es ist lange her, seit das Mann-Auditorium von einer ähnlich überwältigenden Hustensymphonie erfüllt war. Auch das Orchester konnte nicht umhin, vor der unwiderstehlichen Wucht dieser Leistung zurückzuweichen und das Feld denen zu überlassen, die in der schwierigen Kunst des konzertanten Hustens solche Meisterschaft an den Tag legten. Das sorgfältig ausgewogene Programm gipfelte in einem Crescendo von unvergleichlicher Authentizität und einem machtvollen Unisono, das – frei von falschem Romantizismus und billigen Phrasierungen – alle instrumentalen Feinheiten herausarbeitete und mit höchster Bravour sämtliche Taschentücher, Zellophansäckchen, vor den Mund gehaltenen Shawls und Inhalationsapparate einsetzte.

Ein unvergesslicher Abend, der so recht den Unterschied zwischen einem gewöhnlichen Konzert und einem künstlerischen Ereignis erkennen ließ.

Wer kennt das nicht? Den Hustenanfall des Nachbarn im Konzert, das ständige Räuspern genau dann, wenn es still sein soll. Und wer hat sich darüber nicht schon einmal geärgert? Kishon dreht den Ärger um. Er lässt den Husten Teil des Konzertes werden und ihn in Interaktion mit dem Orchester treten. Und dabei zeichnet er mit fachterminologischer Kompetenz und klar sichtbarer Ironie ein herrliches Bild von der Gesellschaft, die das Konzert besucht. Wer kriegt hier eigentlich kein Fett ab? Alle werden durch den Kakao gezogen und das gleich in mehreren Musikstücken. Die Pointe ist, dass das Hustenkonzert nicht irgendwo stattfindet, sondern ins Mann-Auditorium verlegt wird, dem größten Konzertsaal Tel Avivs, und dass es sich nicht um irgendein Konzert handelt, sondern um den Auftritt des Israel Philharmonic Orchestra. Selbst da, wo eigentlich nur die hinkommen, die es sich leisten können und die sich zu der besseren Gesellschaft zählen, herrscht Disziplinlosigkeit. Wer hustet, sollte wissen, dass er stört und Konzerten und Theatern fernbleiben. Kishon braucht für diese Botschaft nicht den moralischen Zeigefinger, sondern lässt den Husten selbst sprechen.

Auf die Frage, ob es einen israelischen Humor gibt, antwortet Kishon in steter Regelmäßigkeit: Nein, aber ich lebe davon. Wie sieht der Humor von Kishon eigentlich aus?

Zugegeben, ich kannte lange Kishon ausschließlich mit Texten wie dem obigen. Und ja, da braucht man keine weitschweifige Interpretation, der Humor ist deutlich, er ist leicht zugänglich. Eine israelische Freundin fragte mich in den 1990er Jahren, ob ich auch den politischen Kishon kenne, einen, der weit über Pünktlichkeit ist eine Zier, Brillenputzen, Autokauf und andere Texte hinausgehe, einen, der Position beziehe und von dem tunlichst nicht alles ins Deutsche übersetzt werde. Kishon, der Patriot, Kishon, der Israel als das einzige Land der Welt bezeichnet, in dem er kein Jude ist, Kishon, der klare Verfechter der Politik Rabins. Ich sah plötzlich einen anderen Kishon und begann mich zu fragen, was da los ist. Er, den jeder kannte, kam partout nicht ins literarische Quartett, warum eigentlich nicht? Reich-Ranicki hat doch sonst sehr sorgsam Autoren ausgesucht, die den Holocaust überlebt haben. Im Fall von Kishon hält er sich bedeckt: Kishons Werk sei aus literarischen Aspekten nicht zu beurteilen. Was das genau bedeutet, darüber kann viel spekuliert werden. Vielleicht meint Reich-Ranicki, dass er nicht in die (seine) gerade gültige literarische Auffassung passt. Literarische Wertmaßstäbe ändern sich ja bekanntermaßen. Sie sind von vielen außerliterarischen Aspekten abhängig. Zum Beispiel erfährt ein Wilhelm Busch heute eine weit bessere Bewertung als zu seiner Zeit, aber keiner käme wohl auf die Idee, dies mit seiner literarischen Qualität zu begründen.

Ephraim Kishon, als Ferenc Hoffmann 1924 in Budapest geboren, stirbt 2005 in der Schweiz an einem Herzanfall. Seine Eltern sind assimilierte Juden, im Haus Hoffmann wird weder Jiddisch noch hebräisch gesprochen, man ging auf Distanz zu allem, was Galizisch war. Schon früh zeigt sich die philologische Begabung des Sohnes. Er macht ein glänzendes Abitur, darf aufgrund der „Judengesetze“ nicht studieren und absolviert eine Lehre als Goldschmied, bevor ihn die Nazis 1944 in ein Arbeitslager stecken, aus dem er flieht. Er wird jedoch wieder gefangen, überlebt Todesmärsche und übersteht letztlich nur alles, weil er mit seinen Wächtern Schach spielt und genau auslotet, wann es sinnvoll ist, dabei zu verlieren. Der größte Teil seiner Familie wird in dieser Zeit ermordet. Nach dem Krieg studiert er Kunstgeschichte in Budapest und beginnt, Satiren zu schreiben. Schnell kommt er in Ungarn zu Ehren. Sein Künstlername Kishont bedeutet „kleiner Hont“ ein Verweis auf den historischen Verwaltungsdistrikt Hont und gleichzeitig ein Protest gegen das kommunistische Ungarn, in dem es solche Distrikte nicht mehr gab. Er emigriert nach Israel, als der ungarische Erziehungsminister ihm aufträgt, ein Musical »Über die Führungsrolle des industriellen Proletariats“ zu schreiben. Er, der kein Wort Hebräisch spricht und sich auch nicht als Jude fühlt, weiß, dass nur Israel für Juden Sicherheit bedeutet und kommentiert seine Flucht dorthin mit den Worten: „Nur der Kommunismus kann ein solches Wunder vollbringen.“ Ihm ist bewusst, dass er als Jude keine große Wahl hat. Nicht die Sehnsucht, sondern die politische Überzeugung treibt ihn weg. Erst in Israel wird aus Kishont Kishon. Eine Ausreise aus Ungarn ist für Juden verboten, Kishon und seine damalige Frau lassen alles zurück und flüchten über Tschechien auf das völlig überbelegte Schiff Galiläa. Sie leben eine Zeit in einem Durchgangslager nahe Haifa, bevor sie sich in einem Kibbuz nahe Nazareth niederlassen. Dort arbeitet er als Elektriker, Knecht und Latrinenreiniger. Er weiß, dass er Hebräisch sprechen muss, wenn er ankommen will, lernt mit Schnelligkeit und veröffentlicht von 1952 an dreißig Jahre lang tägliche Kolumnen. Seine internationale Karriere beginnt 1959 mit dem Buch: Drehn Sie sich um, Frau Lot. Er gründet ein eigenes Theater, dreht Filme, lässt sich scheiden, heiratet insgesamt dreimal und steigt zu einem der bekanntesten Satiriker auf. Sein Werk wird in 37 Sprachen übersetzt und erreichte bislang eine Auflage von über 43 Millionen Exemplaren. In der Bundesrepublik Deutschland ist er besonders beliebt, was Kishon, selbst Holocaust-Überlebender, als wahre Ironie der Geschichte sieht. Erst posthum setzt eine wissenschaftliche Betrachtung von Kishons Werk ein, und dabei wird deutlich, wie wichtig er für die Wahrnehmung Israels im Nachkriegsdeutschland war. Kishon, der bewusst in Ivrit schreibt, wird in der jungen Bundesrepublik als Symbol israelischer Literatur wahrgenommen, es ist aber kaum bekannt, dass Ivrit nicht seine Muttersprache war. Kishon schreibt nichts über den Holocaust. Erst 1997 im satirischen Roman Mein Kamm setzt er sich explizit mit der Nazizeit auseinander. Die politischen Texte Kishons werden erst einmal kaum übersetzt. Warum? War Kishon nur Kishon, wenn er unterhaltsam war? An diesem Autor könnte man exemplarisch zeigen, dass Verleger, Übersetzer, Literaturkritiker, also der ganze Apparat, durchaus wesentlichen Anteil am Gesamtbild eines Autors haben können. Und allein diese Überlegung lässt viel Raum für kritisches Nachhaken.

Ephraim Kishon: Alle Satiren, übersetzt von Friedrich Torberg, München (Langen-Müller), 2014

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